Kindererziehung

Wie können Erzieher/innen die Gehirnentwicklung bzw. das Lernen von Kleinkindern fördern?
  1. Kinder lernen am besten in einer Umgebung, in der sie sich sicher fühlen, wo sie eine enge Beziehung zu Erzieher/innen haben (Vertrauen, Zuneigung usw.), wo man sie weder lächerlich bzw. verlegen macht noch anklagt oder anschreit, wo sie entspannt sind und nur einem geringen bis mittleren Maß an Stress ausgesetzt sind (kein Ausschütten des das Lernen behindernden Cortisols, dafür aber von Endorphinen).
  2. Die kindliche Entwicklung sollte allseitig gefördert werden, indem Erzieher/innen Wissenserwerb, kognitive, soziale, emotionale und motorische Kompetenzen, Sprachfertigkeiten, ästhetisches Tun, Fantasie und Kreativität gleichermaßen berücksichtigen. Sie sollten viel Stimulierung bieten, indem sie Lerninhalte vielfältig präsentieren, möglichst immer mehrere Sinne gleichzeitig ansprechen und viele Methoden (z.B. Projektarbeit, Rollenspiel, Erzählen, Musizieren, Gärtnern) einsetzen.
  3. Eine optimale Lernumgebung konfrontiert Kinder mit lebensnahen Situationen (z.B. durch viele Ausflüge in die Natur, in den Ort, zu Geschäften) und gestattet vielfältige Aktivitäten mit Wahlmöglichkeiten (z.B. durch das Einrichten von verschiedenen "Lernzentren" im Gruppenraum und in anderen Räumlichkeiten).
  4. Das Lernen sollte bedeutsam und relevant für Kleinkinder sein: Erzieher/innen können sich an den Lebenswelten und Interessen der Kinder orientieren, von deren Alltagswissen ausgehen und dieses auf neue Situationen übertragen, im Alltagsleben einsetzbare Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln und auch die Emotionen der Kinder ansprechen (mehr Konzentration und Aufmerksamkeit, bessere Gedächtnisleistung).
  5. Je mehr neue Dinge untersucht werden können, je mehr selbständiges Forschen und Experimentieren möglich sind, je mehr Strategien beim Lösen von Problemen oder Bewältigen von Aufgaben ausprobiert werden können, je mehr neue Erfahrungen und Aha-Erlebnisse im Verlauf eines Tages gemacht werden, umso intensiver ist das Lernen.
  6. Gespräche mit Erzieher/innen und/oder anderen Kindern über Beobachtungen und Erfahrungen, über Gegenstände und Prozesse, Handlungsstrategien und Problemlösungsmethoden sind besonders wichtig, da Kleinkinder dabei neue Begriffe lernen, zum Nachdenken angeregt werden und gerade Gelerntes einsetzen können (besseres Abspeichern im Gedächtnis).
  7. Kinder brauchen auch Zeit zum Wiederholen, Memorieren und Üben: Zu viel Neues ist kontraproduktiv, wenn nicht genügend Gelegenheiten geboten werden, um gerade erworbenes Wissen einzusetzen und neu erworbene Fertigkeiten zu praktizieren. Auch für Kleinkinder gilt: Übung macht den Meister.
  8. Kinder lernen besser, wenn Neugier und Forschergeist gefördert werden, wenn sie eigenständig nach Problemlösungen oder Antworten auf Fragen suchen können, wenn sie für die eigene Leistung selbst verantwortlich sind und wenn sie viel Anerkennung und Lob erfahren. Positiv wirkt sich aus, wenn Erzieher/innen Ziele und Leistungsanforderungen klar definieren, viel motivieren, eindeutige Kriterien für Erfolg und Misserfolg aufstellen, sofort Feedback geben und Fehler eher beiläufig korrigieren (bei zu viel Fokussierung können sich Fehler verfestigen). Motivation und Lernerfolg werden intensiviert, wenn Außenstehende wie Eltern oder andere Erwachsene die Leistung der Kinder bestätigen (z.B. bei Präsentationen vor den Eltern oder bei Ausstellungen).
  9. Die Individualität eines jeden Kindes sollte bei der Planung von Aktivitäten beachtet werden: Beispielsweise mögen extravertierte Kinder gerne im Stuhlkreis sprechen oder Besucher begrüßen, introvertierte Kinder haben oft Angst davor. Einige Kinder finden Sicherheit in Routinen, andere suchen immer wieder nach neuen Herausforderungen.
  10. Bewegungseinheiten zwischen Arbeitsphasen fördern Konzentration und Lernen, da sie zu einer besseren Durchblutung des Gehirns beitragen (mehr Sauerstoff und Glukose verfügbar).
  11. Computer – mit guter Software – intensivieren das Lernen, da sie durch Text, Bild und Ton mehrere Sinne ansprechen, ein häufiges Wiederholen ähnlicher Aufgaben ermöglichen (erleichtert das Memorieren) und den Entwicklungsstand jedes einzelnen Kindes berücksichtigen (Individualisierung). Malen und Komponieren am Computer fördern auch die Kreativität.
  12. Kinder, die in ihrer Familie eine am Wohnort wenig benutzte Sprache gelernt haben, sollten so früh wie möglich mit der Landessprache konfrontiert werden – und die anderen Kinder mit einer Fremdsprache. Sie lernen die zweite Sprache am besten im Kontext alltäglicher Interaktionen mit Erwachsenen (und Kindern), die diese beherrschen.
  13. Positive Beziehungen zwischen Gleichaltrigen, in denen es z.B. keine Gewalt oder Unterdrückung gibt, dafür aber viel Kooperationsbereitschaft beim Lösen von Problemen und Bewältigen von Aufgaben, fördern das Lernen.
  14. Die Familien müssen im Rahmen einer Erziehungspartnerschaft (Textor 2000) mit den Erzieher/innen das Lernen und die Gehirnentwicklung ihrer Kinder ebenfalls stimulieren. Für sie gelten viele der zuvor genannten Punkte gleichermaßen. Außerdem sollten sie sicherstellen, dass ihre Kinder vitamin- und mineralstoffreich ernährt werden, genügend Schlaf bekommen und nicht allzu viel Zeit mit Fernsehen oder Computerspielen verbringen (überlastet das Kurzzeitgedächtnis).
Letztlich sind eine gute Erziehung und Bildung von Kleinkindern nur realisierbar, wenn Erzieher/innen auf umfassende Kenntnisse aus den Bereichen Hirnforschung, Lern- und Entwicklungspsychologie zurückgreifen können – was derzeit nicht der Fall ist. Darüber hinaus benötigen sie aber auch bessere didaktische und methodische Kompetenzen. Einerseits brauchen sie ein Grundlagenwissen in all den Lernfeldern, die in der pädagogischen Arbeit mit Kleinkindern von Bedeutung sind: Natur, Kultur, Wirtschaft, Technik, Kunst, Wissenschaft usw. Andererseits müssen sie im Rahmen der Monats- und Jahresplanung für Kinder relevante Inhalte aussuchen (und kindgemäß präsentieren), ohne dass die Kinder mit einer Unmenge unzusammenhängender Informationen überschüttet werden. Vielmehr sollten diese durch exemplarisches Lernen Einblick in die verschiedenen Lernfelder erhalten und wichtige Strukturen erkennen.
Bransford, Brown und Cocking (1999) haben in ihrem Buch "How people learn", das in den USA eine große Bedeutung erlangte, vier Schwerpunkte unterschieden, die eine lernfördernde Umwelt in Kindergärten und Schulen kennzeichnen:
  1. Wissensvermittlung: Ein Schwerpunkt der pädagogischen Arbeit ist das Lehren von nach bestimmten didaktischen Prinzipien (z.B. Lebensnähe, exemplarisches Lernen) ausgewählten Kenntnissen. Die Kinder sollten Wissen in verschiedenen Lernfeldern erwerben, wobei sie die vermittelten Informationen verstehen, durchdenken und in das bereits vorhandene Wissen integrieren sollen. Es geht dabei nicht um Spezialkenntnisse, sondern um das Gewinnen eines vertieften Überblicks über bestimmte Themenbereiche (Grundlagenwissen).
  2. Orientierung am Kind: Ausgangspunkt der pädagogischen Arbeit sollte das einzelne Kind sein: seine Kenntnisse, Fertigkeiten, Einstellungen, Werte usw. Die Erzieherin sollte (a) das Kind mit neuen Situationen, Problemen und Fragestellungen konfrontieren, (b) erfragen, was es darüber weiß, denkt und vermutet, (c) falsche Vorstellungen hinterfragen bzw. fehlerhafte Vermutungen durch die weitere Beschäftigung mit dem Objekt oder Thema offensichtlich werden lassen und auf diese Weise kognitive Konflikte erzeugen. So wird das Kind nicht nur fortwährend zum Nachdenken angeregt, sondern es muss auch immer wieder sein Wissen umstrukturieren.
  3. Kontinuierliche Beurteilung des Kindes: Damit ist keinesfalls eine Benotung der Leistungen eines Kindes durch die Erzieherin gemeint! Vielmehr geht es darum, dass die Entwicklung und das Lernen eines Kindes nur allseitig gefördert werden können, wenn die Erzieherin genau seinen Entwicklungs- und Wissensstand kennt. Und da sich diese bei Kleinkindern sehr schnell ändern, verlangt das fortwährende Beobachtung. Da sich falsche Vorstellungen, Fehlinformationen, Denkfehler usw. (s.o.) in der Regel erst in Interaktionen zeigen, muss die Erzieherin auch viel mit den Kindern diskutieren – im Sinne eines themenorientierten, sachlichen Gesprächs – und dabei die Aussagen der Kinder hinsichtlich der dahinter liegenden Denkprozesse analysieren. Die Beobachtungen der Erzieherin müssen dann wieder in die pädagogische Arbeit einfließen: durch Feedback, das Aufzeigen von Fehlern, das Herausstellen von Lernerfolgen (Lob) usw., aber auch durch das Stellen neuer entwicklungsgemäßer Fragen und Aufgaben. So passt die Erzieherin ihre Angebote immer besser dem jeweiligen Entwicklungsstand ihrer Kinder an – die aber auch lernen sollten, selbst ihre Fortschritte zu beurteilen.
  4. Orientierung an der Gruppe: Wichtig ist, dass die Erzieherin Gruppenprozesse steuert. So sollten sich alle Kinder geborgen und wohl fühlen, vor allem aber das gemeinsame Lernen, Experimentieren, Diskutieren und Erforschen wertschätzen. Kooperationsbereitschaft und Leistungsmotivation sollten die Atmosphäre in der Gruppe kennzeichnen. Die Kinder müssen auch die Gewissheit haben, dass sie Fehler machen oder mangelnde Fertigkeiten eingestehen können, ohne von den anderen ausgelacht oder verspottet zu werden.

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